Donnerstag, 26. Dezember 2019

Jugendämter 2019 (III)

Große Unsicherheit

Deshalb verwundert es nicht, dass die Quoten für die sogenannten Inobhutnahmen je nach Region erheblich differieren – in Hamburg und Brandenburg sind sie doppelt so hoch wie beispielweise in Berlin und Baden-Württemberg. Hinzu kommt: Die Jugendämter nehmen von Jahr zu Jahr mehr Kinder aus den Familien, wenn man die Sonderfälle von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aus der Statistik herausrechnet. Gab es 2010 noch 33 500 Inobhutnahmen, so stieg die Zahl auf rund 44 000 im vergangenen Jahr. Rechtsexperte Reinhard Wiesner konstatiert "angesichts der Komplexität der zu bewertenden Aspekte eine große Unsicherheit bei Fachkräften in  Jugendämtern und auch bei Richtern". Sie führe dazu, "dass viele sagen: Ich sichere mich lieber ab. Denn wenn ein Kind verletzt wird oder sogar zu Tode kommt, kann ich das nicht mehr revidieren", sagt der frühere Referatsleiter im Bundesfamilienministerium dieser Zeitung.

Märkische Online-Zeitung, 5. Oktober 2019

Pflegeeltern sträuben sich die Haare

"Da wird so getan, als ob alles ganz einfach ist", sagt eine Pflegemutter aus dem Norden Berlins. "Das ist haarsträubend." Eine andere: "Die Pflegefamilien werden seit Jahren von den Jugendämtern zunehmend allein gelassen, weil auch die dortigen Mitarbeiter am Limit sind." Und ein Pflegevater sagt: "Das Problem ist: Sobald das Kind bei einem lebt, steht man relativ allein auf weiter Flur." Die Koordination zwischen Jugendamt und Pflegekinderdienst funktioniere nicht, Hausbesuche gebe es faktisch keine, da es nicht ausreichend Personal dafür gibt. "Dass sich da nur schwer Pflegefamilien finden, ist verständlich."

rbb, 11. Oktober 2019

Auslandsprojekte umstritten

Auslandsprojekte für besonders aggressive oder straffällige Jugendliche geraten immer wieder in die Kritik. Zuletzt machte "Maramures", ein Jugendprojekt des niedersächsischen Trägers Wildfang GmbH in Rumänien, Schlagzeilen: Der deutsche Leiter des Heims und mehrere Mitarbeiter wurden festgenommen. Die Vorwürfe: Sklaverei, Gewalt und Menschenhandel. Die rumänische Staatsanwaltschaft holte mehrere Jugendliche aus dem Projekt und nahm sie in ihre Obhut. Zwei Jugendliche sind offenbar noch immer dort. Einer kommt aus dem Landkreis Aurich. Wie das Sozialministerium jetzt mitteilte, soll er bald zurück nach Deutschland kommen. Die 54 Jugendämter in Niedersachsen sind beim Thema Auslandsprojekte gespalten: 30 Jugendämter bewerten die Projekte für einzelne schwierige Kinder und Jugendliche als sinnvoll. Jedes dritte Jugendamt lehnt es dagegen ab, Jugendliche im Rahmen der Intensivpädagogik ins Ausland zu schicken.

NDR, 13. Oktober 2019


Interview mit Leiterin des Jugendamtes Geldern

Wann ist ein Kind besser in einer Pflegefamilie aufgehoben als bei seinen Eltern?

Walburga Bons Wenn wir unter Drogen- oder Alkoholeinfluss stehende Elternteile vorfinden, der Kühlschrank leer ist und das Kind im Müll krabbelt und akut keine Versorgung mehr stattfindet, können wir das Kind dort nicht so lassen. Dann kann es sein, dass wir das Kind in eine Bereitschaftspflege nehmen. Wir schauen, ob die Eltern bereit sind mitzuarbeiten und ob es die Möglichkeit gibt, das Kind zurückzuführen. Wenn die Mitarbeit der Eltern nicht so ist, wie wir es uns wünschen, gibt es ein Gerichtsverfahren und ein Gutachten, das eine Aussage zur Erziehungsfähigkeit trifft.

Rheinische Post, 21. Oktober 2019


Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Jugendamt
Der Leiter des Wilhelmshavener Jugendamtes, Carsten Feist, hat es weit gebracht: Nächsten Montag hat er seinen ersten Arbeitstag als Oberbürgermeister. Doch schon der Beginn seiner Amtszeit könnte unruhig werden.
„Die unterstellen einem Dinge, das ist der Hammer.“ Sagt eine Mutter aus Wilhelmshaven. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat am 15. Oktober ein Ermittlungsverfahren gegen zwei Jugendamtsmitarbeiter eingeleitet. Tatvorwurf: „Entziehung Minderjähriger nach § 235 Abs. 1 Strafgesetzbuch“, Az. NZS 165 Js 65115/19.

Hier weiterlesen 27. Oktober 2019

Liebes Jugendamt,

ihr bekommt in diesen Tagen eine Rechnung von einer Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie, weil ihr in dieser Praxis ein Kind, das sich in eurer Obhut befindet, als Notfall angemeldet habt, aber mit dem Kind am 5. November nicht erschienen seid. Ihr habt den Termin auch nicht abgesagt. 

Sollte diese Rechnung im Jugendamt abhanden kommen, wie sonst nur die Wahrheit: Ich weiß, welche Praxis euch die Rechnung geschickt hat.


Das Jugendamt, 7. November 2019

Kindesentzug wegen Mutterliebe

Weil sich viele Betroffene an ihn wandten, hat der Hamburger Jugendhilfeexperte Wolfgang Hammer eine kleine Studie über Kindesentziehungen durch den Staat erstellt. Eine Auswertung von 42 Fallverläufen aus sechs Bundesländern von 2014 bis 2019 weist nach, dass Alleinerziehenden die schulpflichtigen Kinder weggenommen wurden, ohne dass es Hinweise auf Gewalt oder Vernachlässigung in den Familien gab. Der Grund war ein Verdacht auf zu enge Mutter-Kind-Bindungen.

taz, 8. November 2019

Weitere Aufgaben
Ärger mit Jugendhilfe-Trägern, keine rechtsgültige neue Kitasatzung, zuletzt Probleme mit dem Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende: Immer wieder war in den vergangenen Monaten von Schwierigkeiten im Jugendamt die Rede, vor allem wegen Personalnot. Doch nun soll die derart überlastet wirkende Behörde gerade im sensiblen Bereich Kinderschutz noch zusätzliche Aufgaben übernehmen.

Es geht um eine 24-Stunden-Bereitschaftsdienst, den die Mitarbeiter im Bereich Kinderschutz abdecken sollen. „Im kommenden Jahr beabsichtigt der Fachbereich auch außerhalb der Dienstzeiten eine Rufbereitschaft einzuführen“, bestätigte Rathaussprecherin Christine Homann auf PNN-Anfrage. Diesen gesetzlich geregelten Schutzauftrag hätte in Potsdam bisher ein freier Sozialträger der Jugendhilfe oder die Polizei ausgeübt, so die Stadtsprecherin. Nun soll das Jugendamt diese Aufgabe schultern.
Potsdamer Neueste Nachrichten, 18. November 2019


Auto einer Jugendamtsmitarbeiterin manipuliert
Ein Mann soll nach einem Sorgerechtsstreit um sein Kind versucht haben, eine Mitarbeiterin des Jugendamtes umzubringen. Jetzt steht er deshalb in Heidelberg vor Gericht. 
Der Plan des Mannes laut Anklage: Er will, dass die Mitarbeiterin vom Kreisjugendamt Rhein-Neckar mit ihrem Auto verunglückt. Deshalb soll der Angeklagte alle vier Bremsscheiben am Wagen der Frau mit Fett eingeschmiert haben. Der Mann habe den Tod der Frau zumindest billigend in Kauf genommen, so die Staatsanwaltschaft.

Passiert ist glücklicherweise nichts. In einer Werkstatt fällt die Manipulation auf. Vor der Tat soll das Jugendamt dem Angeklagten und seiner Frau das Sorgerecht für ihr Baby entzogen haben.
Hitradio FFH, 27. November 2019

Dreijähriger trotz Hinweis tot
Nach dem Tod eines dreijährigen Buben in Schwaben hat das Landratsamt Dillingen eine interne Panne eingeräumt. Bei der Kreisbehörde war drei Monate vor dem Tod des Kindes ein Hinweis einer Nachbarin über eine mögliche Gefährdung des Jungen eingegangen, der aber behördenintern nicht an das Jugendamt weitergeleitet worden war. Zunächst hatte der Bayerische Rundfunk darüber berichtet.

Der Dreijährige war im Oktober aus bislang unbekannten Gründen gestorben. Die Augsburger Staatsanwaltschaft prüft, ob ein Tötungsdelikt vorliegt.
Nordbayern, 4. Dezember 2019

Sechsstellige Summe unterschlagen

Ein Mitarbeiter des Jugendamtes in Dorsten soll über Jahre Geld unterschlagen haben. Die offenbar sechsstellige Schadenssumme wirft die Frage auf: Was hat der Mann alles gekauft?

Dorstener Zeitung,13. Dezember 2019

Mutter verliert gegen das Jugendamt
Das Jugendamt hatte schon im vergangenen Jahr keinen Hilfebedarf mehr gesehen und die Unterstützung der Kinder durch einen Erziehungsbeistand beendet. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war, dass weder der Vater noch die Söhne einen Bedarf an Hilfe sehen. Im Jugendhilferecht sei nicht vorgesehen, Hilfe gegen den Willen eines Betroffenen zu gewähren, stellte sich der Richter hinter diese Entscheidung.
Um überhaupt über eine Klage einen Anspruch auf Jugendhilfe geltend zu machen, sei zunächst eine Einigung in der Familie nötig. Das Gericht sei nicht dazu da, "innerfamiliäre Probleme" zu lösen oder "Uneinigkeiten zwischen den erziehungsberechtigten Eltern zu bereinigen."

Main Post, 15. Dezember 2019 

"Wie Dreck behandelt"
„Uns wurden am 28. November 2018 willkürlicher Weise durch das Jugendamt Lübbecke unsere Kinder weggenommen. Nach anfänglichem Verdacht der Kindeswohlgefährdung, unsere Unschuld ist jedoch schon seit Monaten bewiesen, behandelt uns das Jugendamt regelrecht wie Dreck..."
Mindener Tageblatt, 23. Dezember 2019
  

1 Kommentar:

Heinz-Peter Tjaden hat gesagt…

"Jugendämter haben nur selten einen guten Ruf." So beginnt der Vorspann der "Rheinischen Post" zu dem Interview mit der Jugendamtsleiterin in Geldern. Das Jugendamt von Geldern hat einen besonders schlechten Ruf, hätte der Satz lauten müssen.