Mittwoch, 5. März 2008

Entscheidungen/Gutachter

Gutachter muss Schmerzensgeld zahlen

Frankfurt. Der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main hat einen gerichtlichen Sachverständigen zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 150.000 Euro verurteilt, weil aufgrund seines in einem Strafprozess erstatteten Gutachtens der Kläger (und dortige Angeklagte) zu Unrecht zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

Bei einem Banküberfall im Jahre 1991 hatte eine automatische Überwachungskamera mehrere Lichtbilder des Täters gefertigt, die später zur Festnahme des Klägers führten. Im Rahmen des gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens wurde der Beklagte als Sachverständiger beauftragt, ein anthropologisches Vergleichsgutachten zu erstellen. Dabei waren die von der automatischen Überwachungskamera der Bank angefertigten Fotos sowie von dem Sachverständigen angefertigte Vergleichsbilder von dem Kläger auf ihre Übereinstimmung zu untersuchen.

Der Beklagte kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger „mit sehr großer Wahrscheinlichkeit“ mit der Person auf den Täterbildern identisch sei. In der Strafverhandlung hatte er sich sogar dahingehend geäußert, dass für ihn an der Täterschaft des Klägers keinerlei Zweifel bestünden. Nach seiner Berufserfahrung sei es unvorstellbar, dass eine andere Person als Täter in Betracht komme.

Aufgrund dieses Gutachtens wurde der Kläger wegen des Überfalls auf die Sparkasse zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Kurz nach seiner Haftentlassung wurde die Tat jedoch von dem wirklichen Täter gestanden, der mittlerweile auch rechtskräftig verurteilt worden ist.

Der Kläger hat den beklagten Sachverständigen wegen grob fahrlässiger Verletzung der Pflichten eines Sachverständigen auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von 311.259,21 Euro in Anspruch genommen. Das Landgericht Hanau hatte die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von knapp 58.000 Euro zuerkannt. Gegen diese Entscheidung hatten beide Parteien Berufung eingelegt. Der Kläger erstrebte ein höheres Schmerzensgeld, während der Beklagte seine Haftung dem Grunde nach bestritt.

Nach dem heute verkündeten Urteil verbleibt es bei der Haftung des Beklagten, während dem Kläger ein höheres Schmerzensgeld zugesprochen wurde. Auch der Senat geht davon aus, dass das Gutachten grob fahrlässig fehlerhaft erstattet wurde. Zwar sei das schriftliche Gutachten noch nicht grob fehlerhaft. Eine grob fahrlässige Fehlerhaftigkeit der Begutachtung folge jedoch aus den Äußerungen des Sachverständigen in der Hauptverhandlung vor der Strafkammer, weil er dort nicht mehr nur eine „sehr hohe Wahrscheinlichkeit“ der Täterschaft, sondern das Bild einer von Restzweifeln befreiten Sicherheit vermittelt habe. Die Darstellung seines Identifikationsergebnisses in der Hauptverhandlung habe die erforderliche Differenzierung und Erläuterung der Wahrscheinlichkeitsprädikate vermissen lassen und die Darstellung gegebener Zweifel zu Ausschlussmerkmalen verabsäumt. Wenn aber Zweifel angezeigt seien, müsse der Gutachter diese Zweifel auch deutlich machen. Stattdessen habe der Sachverständige jegliche Zurückhaltung aufgegeben und eine nahezu 100%ige Wahrscheinlichkeit der Täteridentität assistiert. Der Beklagte habe somit naheliegende und von dem wissenschaftlichen Standard gebotene Überlegungen nicht beachtet. Dieser Fehlerhaftigkeit komme objektiv ein besonderes Gewicht zu, da vom Ergebnis des Vergleichsgutachtens entscheidend abhing, ob der Kläger eine mehrjährige Freiheitsstrafe zu verbüßen hat. Es sei eine wichtige Aufgabe des Sachverständigen, die Grenzen der anthropologisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse deutlich zu machen.

Insgesamt hielt der Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 150.000 Euro als billige Geldentschädigung für 1973 Tage zu Unrecht erlittener Haft für angemessen.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 2. Oktober 2007 - Az: 19 U 8/2007

Keine Kommentare: