Mittwoch, 5. März 2008

Entscheidungen/Eschweiler Kinderheim

5. März 2008
Aachener Staatsanwaltschaft unterliegt vor Landgericht

“Während meines Aufenthaltes im Eschweiler Kinderheim von 1958 bis 1970 hat bei mir ein ständiger Missbrauch durch das Erziehungspersonal des Kinderheimes Sankt Josef stattgefunden.”

Kann man sich derart schreckliche Erlebnisse einbilden, können solche Schilderungen lediglich der Fantasie entspringen?

Möglich wäre es nach Auffassung der dritten großen Strafkammer des Landgerichtes Aachen. Doch vom Betrugsverdacht wurden elf ehemalige Heimkinder befreit, der Vorsitzende Richter Wilke, die Richterin Dr. Falkenkötter und der Richter Küpper entschieden jetzt: “Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Angeschuldigten trägt die Staatskasse.”

Prozess hätte lange gedauert

Mit dieser Entscheidung verhinderte das Landgericht einen Prozess, der auch nach Meinung der Aachener Staatsanwaltschaft lange gedauert hätte. Zudem hätte es ein großes Medieninteresse gegeben, stellte das Gericht fest: “…wie sich aus der den Akten ersichtlichen Zeitungs-, Rundfunk- und Fernsehberichterstattung ergibt.”

Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft wollten sich die elf ehemaligen Heimkinder “Geldleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz verschaffen”. In dem Heim habe es “Misshandlungen nur in geringem Umfang” gegeben, die “eine Entschädigung nicht rechtfertigen”. Deshalb sei den elf Angeschuldigten “versuchter Betrug” vorzuwerfen.

62-seitiger Beschluss

62 Seiten umfasst der Beschluss des Aachener Landgerichtes. Die Richter und die Richterin weisen darauf hin, dass es bereits “gerichtliche Auseinandersetzungen” gegeben habe, in dieser Hinsicht aktiv wurde auch immer wieder das Eschweiler Kinderheim. Im Juni 2006 stellte die Staatsanwaltschaft fest, “dass es einzelne körperliche Bestrafungen von Kindern im Kinderheim Eschweiler in jedem Fall gegeben hat.”

Immer wieder schwere Vorwürfe

Treibende Kraft der ehemaligen Heimkinder ist dem Beschluss zufolge die 51-jährige Hermine Schneider aus Aachen gewesen, die nicht nur immer wieder schwere Vorwürfe gegen das Heim erhob, sondern sich auch auf die Suche nach weiteren Opfern machte.

Ihr Kampf begann im Jahre 2000, damals schrieb sie in einem Brief an einen laut Aktenlage unbekannten Empfänger: “Ich habe alles von 1960 bis 1971 an Misshandlungen der schwersten Art des Eschweiler Kinderheims im Kopf, Täter und Opfer. Ich war der Liebling der Oberin und durfte nicht geschlagen werden, musste aber die Misshandlungen der Kinder immer mit ansehen…Ich denke nachts oft an die misshandelten und brutal geschundenen Kinderseelen.”

Doch zu beweisen war das kaum noch, hielt das Aachener Landgericht in seinem Beschluss fest, zu diesem Ergebnis sei auch die Staatsanwaltschaft am 4. August 2004 gekommen: “…ist die Frage nach Misshandlungen im Kinderheim nicht mehr eindeutig zu klären. Die Zeugenaussagen seien widersprüchlich, die meisten als Täter bezeichneten Personen verstorben.”

Erbrochenes gegessen

Andererseits habe aber bislang niemand daran gezweifelt, dass Hermine Schneider Schläge bekommen habe, wenn sie sich als Kind weigerte, bestimmte Mahlzeiten zu essen, und dass sie Erbrochenes “zu sich nehmen” musste.

Hinzu komme, dass es inzwischen weitere Zeugenaussagen gebe, die der Staatsanwaltschaft noch nicht bekannt gewesen seien, als sie Anklage erhoben hat. Dieser Feststellung fügten die beiden Richter und die Richterin hinzu, dass diese Aussagen “die Angaben der Angeschuldigten stützen”.

Schlussfolgerung des Aachener Landgerichtes: “Die von der Staatsanwaltschaft beantragte Eröffnung des Hauptverfahrens war nach all dem aus tatsächlichen Gründen abzulehnen.”

63 KLs 5/07

Auch dieser Beitrag ist erschienen im Rahmen einer Artikelserie über Heimkinder auf www.readers-edition.de

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